Der Begriff der toxischen Weiblichkeit ist umstritten. [Foto: Anna Olivia Böke]
Posted in

Eine frauenfreundliche Selbstkritik: Toxische Weiblichkeit von Sophia Fritz

Sophia Fritz selbst bezeichnet ihr 2024 erschienenes Buch Toxische Weiblichkeit als frauenfreundliche Selbstkritik. Es geht um die Aneignung der misogynen Fremdbezeichnungen des guten Mädchens, der Powerfrau, der Mutti, des Opfers und der Bitch und ist vor allem ein Versuch, die eigene Prägung besser zu verstehen. Wieso der Begriff umstritten ist und was unsere Redakteurin beim Lesen mitgenommen hat, erfahrt ihr hier.

Ein Kommentar

Muss das sein? Müssen wir ausgerechnet jetzt das weibliche Äquivalent zur toxischen Männlichkeit in den gesellschaftlichen Diskurs einführen? Ausgerechnet jetzt, wo der Kampf nach Gleichberechtigung noch lange nicht beendet ist? So wie Autorin Sophia Fritz es auch am Anfang des Buches tut, diskutiere ich nach dem Lesen mit einer Freundin über diese Frage. Die deutsche Presselandschaft hat hierzu seit Veröffentlichung des Buches bereits ihren Teil gesagt und nun ist der Begriff eben im Umlauf. Ich nehme ihn mir also an – aus einem ganz selbstdienlichen Grund: Katharsis.

Nach einschneidenden Ereignissen in meinem Leben in den letzten eineinhalb Jahren verspürte ich immer mehr das Verlangen, mich mit meiner Prägung auseinanderzusetzen. Und zwar eben nicht nur in meinen bislang heterosexuellen Beziehungen, sondern auch im Zusammenhang mit anderen Frauen: Freundinnen, Müttern, Kolleginnen, Feindinnen, Crushes. So begegnete ich über TikTok dem Buch von Sophia Fritz und war sofort interessiert. In dem Buch fand ich mich häufig wieder: in dem guten Mädchen, in dessen Hülle ich mich unwissend verstecke. In der Powerfrau, die ich sein will. In der Mutti, die ich nicht sein will. In dem Opfer, zu dem ich mich zu oft mache und der Bitch, zu der ich gemacht werde.

Zu viel oder nicht genug?

Das gute Mädchen liefert mir Antworten dazu, wieso ich meiner Wut oft keinen Raum gebe, sodass sie unter Druck wie ein Ballon explodiert. Ein wichtiger Begriff ist der des „Smush”, gemünzt von Kasia Urbaniak. Er bezeichnet den Zustand des im Kreuzfeuer der Gesellschaft stehenden guten Mädchens — irgendwo zwischen dem Gefühl, zu viel zu sein und gleichzeitig nicht genug. Oft habe ich Schwierigkeiten, meine Empfindungen in eine Handlung zu übersetzen, aus der Angst, unhöflich zu wirken oder den seelischen Zustand des Gegenübers negativ zu beeinflussen, auch wenn mir die Meinung der Person ziemlich egal ist und auch sein darf. Durch diese neue Perspektive fällt mir auf, wie oft ich meine Konditionierung des guten Mädchens als Social Anxiety abgetan habe. Zum Beispiel wenn ich mich im Bus nicht wegsetze, obwohl der Mann sich von allen freien Sitzen ausgerechnet neben mich setzt. 

„Woher soll ich denn nach 20 Jahren in einem von dieser Kultur geprägten Frauenkörper noch wissen, wo meine Grenze ist?”

Autorin Sophia Fritz

Die Rolle des guten Mädchens schützt vor dieser Zurückweisung und Ablehnung. Der Begriff der Bitch in der Popkultur, oft von Männern benutzt, um Frauen ihre Sexualität abzusprechen, ist eine Sache – diese Ablehnung von anderen Frauen zu erleben, die andere. Im vergangenen Jahr machte ich die unangenehme Erfahrung, Hass von Frauen abzubekommen, der nicht ganz mir galt. Das warf ganz neue Unsicherheiten in mir auf und bewegte mich dazu zu hinterfragen, welche gesellschaftlichen Muster hinter der internalisierten Misogynie dieser Frauen steckten und ließ mich mehr Verständnis aufbringen und mir selbst ebenso genauer auf die Finger schauen.

Rasieren oder nicht rasieren, das ist die Frage

Zum Lesen des Buches gehörte auch mir einzugestehen, dass ich als Powerfrau nach den Fäden einer Konsumgesellschaft tanze, die mir neue Klamotten, Cremes und Haarschnitte als Self-Care verkauft — dass ich in meinen Bestrebungen die perfekte Studentin, Selbstständige, Freundin, Partnerin und Tochter zu sein, nicht immer bei mir bleiben kann. 

Das Thema der Bestimmung über den eigenen Körper beschäftigt mich immer wieder: Rasiere ich mich, gebe ich mich dem Male Gaze hin und fühle mich schuldig dem Feminismus gegenüber. Rasiere ich mich nicht, nerve ich mich selbst mit Stoppeln und Minderwertigkeitsgefühlen, denn ich habe das ja so gelernt und finde es selbst an mir schöner — hier den richtigen Weg zu finden ist verdammt schwer! Fritz bringt das Dilemma mit einer Frage auf den Punkt: „Woher soll ich denn nach 20 Jahren in einem von dieser Kultur geprägten Frauenkörper noch wissen, wo meine Grenze ist?” Manchmal habe ich sogar Angst, gar nicht zu merken, dass ich über meine Grenzen gehe. Ist meine Lust wirklich meine oder performe ich sie? Wenn sie meine ist, wieso muss ich mich das überhaupt fragen? Weil gesellschaftlich immer suggeriert wird, als Frau das Objekt sexueller Begierde zu sein, nicht die Begehrende. Mir meine weibliche Sexualität anzueignen ist ein weitaus komplexeres Unterfangen als bloß den Diskurs in die Öffentlichkeit zu tragen.
Natürlich kann toxische Weiblichkeit nur im Kontext des Patriarchats betrachtet werden, und das tut Fritz auch — ohne mit dem Finger auf sich selbst oder eine von uns zu zeigen. Weder als Schuldzuweisung noch Affront siegt Toxische Weiblichkeit vor allem mit Nachempfindbarkeit. Es ist eines dieser Bücher, das zur Selbstreflexion anregt und nachdem man das Bedürfnis verspürt, diese eine Freundin anzurufen und ihr doch zu erzählen, wie neidisch man damals auf sie war und warum man sich so distanziert hat. Was bleibt, ist das Bedürfnis, über sich selbst hinauszuwachsen. Denn nur so kann eine Gesellschaft stärker zusammenwachsen und ein nachhaltiger Feminismus bestehen: wenn wir das Band zwischen uns stärken, zu uns selbst ehrlich sind, uns weder selbst noch gegenseitig hassen, sondern uns Verständnis entgegenbringen.