Offene Fernbeziehungen oder wie man garantiert auf die Fresse fliegt. [Foto: Pixabay]
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Die Illusion der offenen (Fern)Beziehung

Kolumne von anonym

Jaja, die offene Beziehung – der Matcha Latte der Beziehungskonzepte: Sieht schön aus, schmeckt aber irgendwie nach Gulli. Genau wie Matcha Latte und der Mullet hat sich unsere Generation kollektiv darauf geeinigt, dass man das irgendwie mal ausprobiert haben muss; vielleicht einfach nur, um gemeinsam lästern zu können. 

Auf dem Papier klingt das Konzept blendend: die Nähe und Vertrautheit einer festen Beziehung, kombiniert mit der Möglichkeit, sich auf Partys unauffällig in die falsche Richtung zu bewegen. In der Realität? Nun ja, ich persönlich kenne niemanden, bei dem das langfristig funktioniert hat. But prove me wrong! 

Ich bin auch auf diesen Zug aufgesprungen. Frisch verliebt, kurz vor dem Umzug in eine andere Stadt, und voller naiver Überzeugung, dass Kommunikation schließlich alles ist. Also, warum nicht gleich eine offene Fernbeziehung? Was könnte da schon schiefgehen? (Das klingt so dumm im Nachhinein, wow!) 

Das Ganze hat auch erstmal wunderbar funktioniert, wir haben uns oft besucht, täglich geschrieben und unglaublich erwachsen über alles kommuniziert. „Vergessen“ zu erwähnen hat der werte Herr nur anscheinend die Tatsache, dass er sich fröhlich durch den Süden Deutschlands vögelt, obwohl wir das Credo gelebt haben, alles kann passieren, wir müssen nur darüber reden. Naja. Ein halbes Jahr später hat er es dann doch als irgendwie wichtig für unsere Beziehung erachtet, mir das zu erzählen. Auf die Frage, warum er mir das erst ein halbes Jahr später erzählt, kam die Antwort, dass er sich dafür schämt und sich nicht gut damit fühlt (no shit, Sherlock). 

Hätte man in dieser Situation schon Schluss machen sollen? War das schon ein richtiger Vertrauensbruch? Oder gehört das einfach zum Gesamtpaket „Offene Beziehung“? 

Und so fanden wir uns in einer geschlossenen Fernbeziehung wieder – tatsächlich auf seinen Wunsch hin. Er fühlte sich nicht mehr gut damit Rückblickend glaube ich, ich bin hier einer universellen Wahrheit auf die Spur gekommen: Offene Beziehungen funktionieren langfristig nur, wenn beide aktiv mitspielen. Sonst entsteht ein Machtgefälle, in dem eine Seite experimentiert, während die andere emotional in den Seilen hängt. Wer will schon wissen, dass der eigene Partner keinerlei Interesse an anderen hat, während man selbst für potenziellen Sprengstoff sorgt? 

Auslandskrisen

Wie auch immer – sechs weitere Monate später folgte die nächste Lektion: Auslandssemester ruinieren Beziehungen. Zumindest, wenn der Partner mit dem Flugticket ein Mann ist. Vielleicht auch, wenn er eine Frau ist – aber dazu fehlen mir empirische Daten. Auch nur aus rein anekdotischer Evidenz, aber man erspart sich einfach viel Leid, wenn man das Ganze davor pausiert oder beendet. Ich will euch die Schlammschlacht ersparen, aber sechs Monate im Ausland sind verdammt viel Zeit, um mit sehr vielen Männern fremdzugehen. Und diese verdammten Akademiker sind anscheinend auch in diesem Bereich ein bisschen zu ambitioniert.  

Habe ich Schluss gemacht, nachdem ich herausgefunden habe, dass mein Partner mich mit einem Professor und zwei anderen Typen betrogen hat? Nachdem ich herausgefunden habe, dass er nicht mal ein Kondom benutzt hat? Ich wünschte ich könnte „Ja” sagen, aber ich war jung und dumm. Also habe ich mir eingeredet, dass es ihm unglaublich leid tut, dass er seine Lektion gelernt hat, dass er ja noch nie so lange alleine von Zuhause weg war, er einfach sehr einsam ist, blablabla. Der Gute hat sich mit sehr vielen Tränen sehr oft entschuldigt und Akademiker-like einen, ich zitiere: „fünf Punkte umfassenden Maßnahmenplan zur Vermeidung zukünftiger Verfehlungen ausgearbeitet“. Spoiler: Hat leider nur drei Wochen funktioniert. Danach hatte er aus Versehen nochmal was mit drei anderen Typen. Aber ab dem Punkt habe ich es dann auch tatsächlich endgültig verstanden und wir haben die Sache beendet. 

Das Licht am Ende des Tunnels

Warum bin ich so lange mit diesem Menschen zusammengeblieben? Warum sieht man immer bei Freund:innen sofort, wenn der Typ nicht gut genug ist und bei sich selbst immer erst, wenn man es beim besten Willen nicht mehr übersehen kann? Die einfache und kitschige Antwort ist: Liebe macht blind. Die ehrliche Antwort ist, dass wir die dumme Angst haben, nie wieder so jemanden wie diese eine Person zu finden. Wenn man endlich diese gottlosen Datingperioden abgeschlossen hat, durch viele mittelmäßige bis beschissene Erfahrungen durch ist und dann endlich jemanden gefunden hat, der wie der perfekte Partner erscheint, können wir nicht so einfach weg. Was, wenn das die Chance war, die man vom Leben kriegt? Dass das alles dumme und falsche Gedanken sind, ist jedem irgendwo klar, aber irgendwie hat man sie in der ein oder anderen Form dann doch. Und das ist okay und normal. 

Deswegen ist es ja so wichtig, viel mit Freund:innen zu sprechen, die einen mit sanfter Gewalt auf den Boden der Tatsachen ziehen können. Ergo: Du bist eine unglaublich tolle Person und hast nicht verdient, so behandelt zu werden. Außerdem gibt es wirklich mehr als genug Typen da draußen, die sich nicht wie komplette Arschlöcher verhalten (habe ich gehört).