Der TikTok-Effekt – Warum schnelle Musik besser ankommt

Autor: Nikita Verbitskiy | [Foto: pixabay]

Wenn ihr euch schon mal in der Musik-Bubble auf TikTok wiedergefunden habt, seid ihr vermutlich einem Phänomen nicht entkommen: Die Sped-Up“-Versionen von Songs. Musiker:innen entschließen sich zunehmend, beschleunigte Versionen ihrer Songs auf der Plattform parallel zu den Original-Tracks hochzuladen. Aber woher kommt der Trend und warum funktioniert er?

Eine Zeit lang waren „Slowed+Reverb“ Versionen von bekannten Songs eine Welle bei YouTube – dabei wurden Tracks langsamer gemacht und in Reverb getränkt. Reverb ist ein Effekt, der einen künstlichen Hall erzeugt, bei dem es so wirkt, als würde der Ton in einem großen Raum oder in der Natur gespielt und aufgenommen werden. Unter Musiker:innen schon lange als Geheimwaffe bekannt, um Fehler zu überspielen oder die Musik verträumter wirken zu lassen, fand er sich nun auch im Kosmos der Konsument:innen wieder. Nun ist die Slowed+Reverb Zeit vorbei und an ihre Stelle ist das tempo-technische Gegenteil getreten, die Sped-Up Versionen.

Ein Trend, der ursprünglich auf der Videoplattform TikTok entstand, bei dem User:innen beliebte Tracks schneller machten und unter ihre Videos legten, entpuppte sich als Trick für Artists, um ihre Musik zu promoten und Songs ein zweites Leben einzuhauchen. Ein bekanntes Beispiel für das Phänomen ist der Track Ohne Benzin der Künstlerin Domiziana. Sie veröffentlichte zunächst nur auf Social Media und im Nachhinein auch auf allen Streamingplattformen eine „1,1“-Version des Songs, also den gleichen Song, bloß 10 Prozent schneller als das Original. Obwohl es sich dabei um ein fast identisches Produkt handelt wie das, was Konsument:innen bereits kannten, verhalf er ihr auf Social Media zu einem weiteren Durchbruch und generierte als Beinahe-Kopie weitere 20 Millionen Streams, mehr als ein Drittel des eigentlichen Tracks (Stand: Mai 2023).  

Die Feel-Good Formel 

Doch warum sollten Menschen einen Song hören, den sie bereits genau so kennen, bloß etwas schneller und höher? Der niederländische Neurowissenschaftler Jacob Jojij entwickelte im Jahr 2013 eine Formel, mit der berechnet werden sollte, was einen Feel-Good Song ausmacht. Neben positiven Textinhalten und Dur-Tonarten berichtete er unter anderem von einem Tempo von ca. 150 BPM und aufwärts, 36 BPM schneller als der durchschnittliche Pop-Song. Ein schnelleres Tempo werde mit mehr Energie, Bewegungsdrang und positiven Eindrücken assoziiert. Domizianas Song Ohne Benzin fügt sich nahtlos in diese Beobachtungen ein. Der Track liegt im Original bei 133 BPM, die Sped-Up Version bei 149 BPM. 

Eine weitere Studie des Frontiers Journal of Psychology bestätigte den anregenden Effekt schneller Tempi/Songs anhand von Messungen der Hirnareale und ihrer Stimulation bezüglich unterschiedlicher Tempi. Hohe BPMs schafften eine positivere und motivierendere Atmosphäre. Ein Beispiel dieser Wirkung, das den meisten vertraut sein sollte, ist der Effekt von Musik beim Trainieren. Schnellere Musik erzielt ein effektiveres Training und mehr Durchhaltevermögen als langsamere Tracks, was die Zeitschrift in empirischen Studien auch belegen konnte. 

Schneller Konsum, schnelle Musik 

Der weitere Nebeneffekt der Sped-Up Versionen, die erhöhte Tonart, spielt hier ebenfalls eine Rolle. Laut einer Studie der University of Illinois werden höhere Frequenzen von Konsument:innen als heller, ansprechender und positiver empfunden. Musik, die in höheren Frequenzen stattfindet, fängt unsere Aufmerksamkeit schneller ein – ein wertvolles Marketing-Tool in der Musik. Zwar tendiert diese Musik zu einer Kurzlebigkeit, da Hörer:innen durch die hohen Frequenzen auch schneller angestrengt sind, doch passt diese Kombination damit ideal in die Konsumgewohnheiten der insbesondere jungen Konsument:innen, da Aufmerksamkeitsspannen in den letzten Jahren stark abgenommen haben. TikTok als Medium repräsentierte dies in der Vergangenheit bereits deutlich. Die nun erkennbaren Auswirkungen der Plattform auf das Schaffen und Konsumieren von Musik unterstreichen den Trend allerdings noch stärker und stehen für einen Wandel des Konsumverhaltens, der zwar unter anderem durch die Plattform generiert wurde, doch mittlerweile weit über sie hinausreicht.

Beats Per Minute

BPM oder „Beats Per Minute“ ist eine Einheit, in der das Tempo von Musik gezählt werden kann. Dabei wird die Anzahl an Takten in einer Minute zusammengezählt, um daraus einen Richtwert zu erstellen, an dem man die Geschwindigkeit eines Tracks beziffern und mit anderen Tracks vergleichen kann. DJs arbeiten zum Beispiel viel mit dem Richtwert, da er ihnen hilft, das Tempo zweier Tracks anzugleichen und einen Trend in Richtung schnellerer oder langsamerer Musik zu schaffen, je nachdem, ob man die Stimmung heben oder senken möchte.


Beitrag veröffentlicht

in

von