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Der Täter war ein Syrer, die Retter aber auch

Artikel: Mazen Hassoun | Die Nennung der Nationalität löst bei Berichterstattungen oft Kritik aus. [Foto: pixabay]

Warum wird die Nationalität des Täters betont, wenn sie bei den Helfenden offenbar als unwichtig gilt? Ein Kommentar über die Berichterstattung in den deutschen Medien.

Ein Kommentar von Mazen Hassoun

Ende September löste ein Fall in Essen eine heftige Debatte aus: Ein 41-jähriger Mann zog mit einem Messer und einer Machete bewaffnet durch die Stadt, legte Feuer in einem Mehrfamilienhaus und stürmte schließlich einen Gemüseladen. Die Bilder dieser Tat gingen durch die Medien und schockierten nicht nur die Stadt Essen, sondern ganz Deutschland. Kurz danach berichteten die Medien über den Fall und beschrieben, es handele sich bei dem Täter um einen Syrer. Sein Motiv: Seine Frau habe ihn verlassen, so die Lokalzeitungen. Die Polizei hat ihn kurz darauf festgenommen.

Dieser Fall entfachte erneut eine Debatte über Integration und Migration. Denn es passierte nur einige Wochen nach dem Terroranschlag in Solingen, bei dem ebenfalls ein Syrer verantwortlich war. Wie immer nutzt die AfD den Fall für sich und beschreibt den Fall als “islamistischen Terror”.

Jedoch fehlte in den Berichten über den Fall ein wichtiger Teil der Story: Noch bevor die Polizei eintraf, wurde der Mann von mehreren anderen Männern in eine Lagerhalle gedrängt, sodass er nicht fliehen konnte. Die Männer verhinderten möglicherweise noch Schlimmeres. Doch was blieb unerwähnt? Auch diese Helfer waren Syrer. Die Medien nannten den Täter explizit „Syrer“, bezeichneten die Retter hingegen lediglich als „Männer“. 

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Diese einseitige Berichterstattung bringt sehr viele Nachteile mit sich. Durch die gezielte Erwähnung der Herkunft bei Täter:innen, aber nicht bei Retter:innen, wird ein Bild vermittelt, das Menschen mit Migrationshintergrund vorrangig in einem negativen Licht zeigt. Die sogenannte Framing-Theorie beschreibt diesen Effekt. Sie besagt, dass die Art der Berichterstattung der Medien über bestimmte Themen beeinflusst, wie die Menschen diese Themen wahrnehmen. Das heißt, eine Berichterstattung, die Migrant:innen nur als Täter:innen darstellt, verstärkt negative Stereotypen und Vorurteile. Durch solches Framing werden bestimmte Aspekte gezielt betont und andere ignoriert, was zur einseitigen Wahrnehmung bei Konsument:innen führt. 

Eine weitere Theorie beschreibt einen ähnlichen Effekt. Die Kultivierungstheorie von George Gerbner besagt, dass Menschen, die viel Zeit mit Medien verbringen, die Realität zunehmend so sehen, wie sie in den Medien dargestellt wird. Wird Migration häufig in negativem Licht dargestellt, können Medienkonsument:innen glauben, dass Migrant:innen ein negatives Thema sind und sie eine Bedrohung für die Gesellschaft darstellen. Das führt zu einer sogenannten „kultivierten“ Wahrnehmung, die oft mit der tatsächlichen Realität nicht übereinstimmt, sondern durch das Bild der Medien geprägt wird.

Mediale Verantwortung

Die Rolle der Medien sollte in erster Linie eine informierende sein. Sie sollten ihren Konsument:innen über die Vorfälle berichten, ohne dabei einen wichtigen Teil der Geschichte zu vernachlässigen. Hier stellt sich die Frage: Warum wurde im Fall Essen die Nationalität des Täters betont, wenn sie bei den Helfenden offenbar als unwichtig gilt? Geht es dabei um Informationsvermittlung oder Verstärkung von einem negativen Bild einer Gruppe?

Die Medien spielen eine entscheidende Rolle in der Meinungsbildung, vor allem in einer Gesellschaft, die zunehmend polarisiert. Eine faire und sachliche Berichterstattung ist insbesondere jetzt notwendig, da rechtsextreme Akteur:innen in Deutschland verstärkt Einfluss erlangen, Wahlen gewinnen und so die öffentliche Wahrnehmung von Migration und Integration intensiv beeinflussen. Das Ignorieren oder Verschweigen von Details, die ein positiveres Bild von Migrant:innen zeigen könnten, befördert die soziale Spaltung und erschwert die Integration. Eine ausgewogene Berichterstattung, die auch die Leistungen und positiven Beiträge von Migrant:innen herausstellt, könnte helfen, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken. Denn alles andere ist Wasser auf die Mühle rechtsextremer Akteur:innen.