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Das Trinkgeld-Dilemma: Tips, diesmal vom Kellner

Eine Kolumne von: Nikita Verbitskiy | Bar geben die meisten oft eher etwas Trinkgeld. [Foto: Nikita Verbitskiy]

10 Prozent, Aufrunden bis zum nächsten Euro, bis zum nächsten Fünfer oder doch einfach nichts? Trinkgeld geben ist nicht leicht, aber sollten wir das überhaupt? Unser Redakteur verrät aus jahrelanger Kellnererfahrung heraus warum, oder auch warum nicht.

Das kleine Extra für den Service. Ob in ewigen X- oder Threads-Threads, auf TikTok oder am Küchentisch, dieses Thema lässt die Leute nicht los. Es ist schon so lange so allgegenwärtig, dass es bereits Anfang der 90er von Tarantino in seinem ikonischen Intro zum Film Reservoir Dogs aufgegriffen wurde. Aus gutem Grund, denn es spaltet die Gemüter. Hier treffen Extreme regelmäßig aufeinander, schließlich ist die Menge an Trinkgeld bei weitem nicht so entscheidend über die Wahl unserer Mitmenschen wie zum Beispiel ihre politische Einstellung, doch oft enden die Debatten ähnlich erhitzt. 

Meiner Erfahrung nach spaltet sich die Diskussion in drei bis vier Lager. Zum einen die (ehemaligen) Servicekräfte selbst, die den Job kennen und wissen, dass das Trinkgeld ein entscheidender Faktor in der Jobwahl war und auch ein großes Thema im Feld ist. Sie werden meist auf einen 10 Prozent-Durchschnitt bestehen und diesen auch selbst geben. Dann gibt es die Menschen, die zwar nicht im Service arbeiten, aber trotzdem auf ein Trinkgeld bestehen, das nicht aus Aufrunden auf den nächsten Euro besteht. Als letztes gibt es die, die bar einfach aus Bequemlichkeit aufrunden und ansonsten nichts geben, da sie in ihrem Job auch keines bekommen – zumindest ist das ein häufig genanntes Argument. 

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Was bei der Frage nach dem Trinkgeld in Betracht gezogen werden muss, sind auch die Abgaben, die jede:r Kellner:in hat. Ausnahmen gibt es immer, doch in jedem Betrieb, den ich kenne, zahlen die Servicekräfte im Durchschnitt 2,5 Prozent ihres Umsatzes oben drauf an das restliche Team, wie zum Beispiel die Küche oder die Theke. Sie sind ja auch mitverantwortlich für die Zufriedenheit der Gäste und sollten ebenfalls entlohnt werden. Dieser Prozentsatz ist allerdings immer fest, da sonst vermutet werden kann, dass der Service Trinkgeld unterschlägt. Das heißt im Umkehrschluss, geben alle zufällig mal gar nichts, zahlt die Person das aus eigener Tasche. 

Ob das fair oder legal ist, sei mal dahingestellt, gängige Praxis ist es trotzdem in (wahrscheinlich) jedem Betrieb. Warum aber gibt man Kellner:innen Trinkgeld, dem Menschen, der an der Supermarkt-Kasse schuftet, nicht? Meine beste Antwort wäre hier die persönliche Ebene. An der Kasse geht es zügig, man möchte die Menschen hinter sich nicht aufhalten und das Eis so schnell es geht nach Hause bringen. Im Restaurant wird gewitzelt, beraten und der gesamte Abend verbracht. Viele Gäste wollen erklärt bekommen, was auf der Karte steht, Extrawünsche erfüllt bekommen und jemanden, der endlich mal über ihre Witze lacht. Auch besteht in der Gastronomie das Problem der geringen Margen und knappen Haushaltung. Viele Lokale stehen, insbesondere seit Corona, dauerhaft vor dem Aus und können ihr Personal gerade mal so bezahlen. 

Ein systematisches Problem

Mindestlohn wollen besonders erfahrene Servicekräfte sich allerdings auch aus gutem Grund nicht antun, daher halten die Gäste mit dem Trinkgeld sie gerade so von der Umschulung ab. Das Problem liegt hier auch in der eingespielten Systematik: Die Menschen wissen vom Trinkgeld, daher werden viele Dinge anders gehandhabt, zum Beispiel die Pausen nicht genommen, der Lohn nicht erhöht und die Stundenanzahl überschritten. Wäre dies nicht der Fall, müsste man das gesamte gastronomische System auf den Kopf stellen, da es wirtschaftlich schon fast in Abhängigkeit vom Trinkgeld steht. Es bleibt der Magnet, der Menschen zu diesem Job zieht.Dass das nun von den Gästen getragen werden muss, die gar nicht an Beratung, Small Talk und Co. interessiert sind, ist in dem Fall  natürlich auch nicht fair. 

Ich bin auch nicht der Meinung, dass Trinkgeld aus Prinzip erwartet werden sollte. Verständnis dafür, dass die Person frustriert darüber ist, gerade durch den Gast Geld verloren zu haben, habe ich aber auch. Seht euch nicht dazu gedrängt, immer auf Krampf das große Geld zu verschenken. Wenn der Service schlecht war, ist es auch absolut fair, sehr wenig oder nichts zu geben. Die von euch, die gerne das Drumherum haben wie mehrere Gänge, Beratung und Weinservice und sich darüber freuen, dass der Service beim nächsten Mal noch weiß, was euch gefallen hat, können das aber  gerne mit einem Trinkgeld, bei dem bei der Person noch etwas übrig bleibt, wertschätzen. Falls es gerade etwas eng ist, versucht vielleicht auf die zwei bis vier Prozent zu kommen, damit die Kellner:innen zumindest kein Minus machen.