Nach dem Ersten Weltkrieg erlebten die Deutschen eine Hochphase: Wirtschaftlicher Aufschwung, Nachtleben und – vorerst – kein Krieg. In Berlin, einer Stadt mit immer mehr queeren Personen, stieg auch das wissenschaftliche Interesse an Queerness. Wir beleuchten diese Woche einen eher unbekannten Aspekt der Goldenen Zwanziger: Die weltweit erste Zeitschrift für Transvestit:innen.
Wenn wir über die Weimarer Republik nachdenken, fallen uns besonders populäre Aufarbeitungen für Film und Fernsehen wie die ARD-Serie Babylon Berlin ein. Auch Netflix hat mit Eldorado – Alles, was die Nazis hassen eine spannende Dokumentation der Zeit und speziell des queeren Lebens in ihr herausgebracht. Letztere beleuchtet Themen wie den schwulen NS-Offizier Ernst Röhm, die wegweisenden Operationen zur Geschlechtsangleichung von Lili Elbe und den berüchtigten Berliner Club Eldorado. Ein spannender Aspekt in Sachen Medien bleibt dabei unberührt. In den 1920er und 30ern entstanden vermehrt Zeitschriften für eine nicht-heterosexuelle Leser:innenschaft. Im Radszuweit Verlag erschienen zwischen 1924 und 1933 gleich mehrere an Homosexuelle und später auch Transvestit:innen gerichtete Blätter.
Queerness in der Weimarer Republik
Das wachsende Interesse an ‚anderen’ Sexualitätsformen zeigte sich Anfang des 20. Jahrhunderts besonders in der Wissenschaft. In diesem Bereich galt der Arzt und Sexualwissenschaftler Dr. Magnus Hirschfeld als wegweisend. Er gründete 1919 das weltweit erste Institut für Sexualwissenschaft in Berlin. Dort forschte er beispielsweise zu Homosexualität und auch Transvestitismus. In Die Transvestiten. Eine Untersuchung über den erotischen Verkleidungstrieb von 1910 dokumentiert Hirschfeld Erscheinung, Verhaltensweisen und Gefühlsleben von Patient:innen, die er im weiteren Verlauf als Transvestit:innen definiert. Er stellt in seiner Ausarbeitung fest, dass es keine nachweisbare Verbindung zwischen Homosexualität, die damals strafrechtlich verfolgbar war, und Transvestitismus gab. Hirschfeld war ein großer Verfechter für mehr Rechte für queere Personen.
Auf juristischer Ebene konnten Crossdresser:innen aufgrund ihrer Erscheinung wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses festgenommen werden. Ausgenommen waren manche Transvestit:innen, die mithilfe sogenannter ‚Transvestitenscheine’ ohne Sorge vor Konsequenzen in der Öffentlichkeit in gegengeschlechtlicher Kleidung auftreten konnten. Das Erlangen dieser Scheine war jedoch mit Privilegien wie Geld und Status verbunden.
Das 3. Geschlecht (1930-32)
In einer Zeit, in der Homosexualität seit 1871 unter Paragraf §175 im Strafgesetzbuch strafbar war, erscheint eine Publikation nur für homosexuelle Personen und Transvestit:innen recht progressiv. Rainer Herrn, der sich schon lange wissenschaftlich mit der Thematik sowie Zeit auseinandersetzt, schreibt über die Zeitschrift: „Sie ist einer der wenigen Belege für die Konstituierung der Transvestiten als geschlechtliche Minderheit.”1 Er sorgte als Herausgeber ebenfalls dafür, dass die fünf Ausgaben von Das 3.Geschlecht heute gebündelt in einem Reprint einsehbar sind.
In der Weimarer Republik wurde Das 3. Geschlecht vom Publizisten Friedrich Radszuweit herausgegeben. Als homosexueller Mann lag ihm selbst daran, für mehr Rechte in seiner Gemeinschaft zu kämpfen. Er hat bereits zuvor queere Zeitschriften, wie Die Freundin für lesbische Frauen sowie die Blätter für Menschenrechte publiziert.
Inhaltlich fanden in dem Magazin informative Texte, Buchempfehlungen und Meinungsartikel Platz. Oft drehten sich die Texte um die eigene Identität, Präsentation in der Öffentlichkeit und zwischenmenschliche Beziehungen. Erfahrungsberichte mit Titeln wie „Verzweiflungskampf eines weiblichen Transvestiten” oder „Transvestiten über sich selbst: Gedanken zum Transvestitismus” ermöglichten Leser:innen erstmals Zugänge zur Thematik. Neben den Texten fanden zahlreiche Illustrationen Platz in den Ausgaben. Diese zeigten sowohl bekleidete als auch nackte Körper von Transvestit:innen. In der ersten Ausgabe befindet sich beispielsweise eine Abbildung des Varieté-Performers Voo-Doo, der für seine Shows als Dame zu der Zeit berühmt war.
Das 3. Geschlecht gab einer marginalisierten Gruppe, deren wahres Selbst oft nur im privaten Raum ausgelebt wurde, einen Weg zu einem kollektiven Wir zu finden. Auch wenn für viele Transvestit:innen der öffentliche Ausgang in gegengeschlechtlicher Kleidung weiterhin, aufgrund von Stigmata und dem Gesetz, nur ein Traum blieb, schufen die Zeitschriften von Friedrich Radzuweit eine zuvor nie dagewesene Repräsentation.
Die florierende Queerness des damaligen Berlins fand mit der Machtübernahme der Nazis immer stärkere Unterdrückung und Verfolgung. 1933 wurde das Institut für Sexualwissenschaft geplündert und geschlossen. Zahlreiche Bücher aus dem Institut endeten in den Flammen auf dem Berliner Opernplatz. Die Kämpfe für eine tolerantere Gesellschaft, die Dr. Magnus Hirschfeld und Friedrich Radszuweit bereits Anfang des 20. Jahrhunderts führten, fanden zu deren Lebenszeit keine rechtlichen Erfolge. Der Paragraf §175 wurde letztlich erst 1994, vor 30 Jahren, aus dem deutschen Strafgesetzbuch gestrichen.
1 Rainer Herrn (2016): Das 3. Geschlecht. Reprint der 1930–1932 erschienenen Zeitschrift Für Transvestiten. Männerschwarm Verlag, Berlin.