Buch des Monats: Das Ende der Ehe von Emilia Roig

Text und Foto: Selome Abdulaziz | Auch unterwegs eine gute Lektüre: unser Buch des Monats „Das Ende der Ehe“.

Unser Buchtipp im Mai ist das Sachbuch „Das Ende der Ehe. Für eine Revolution der Liebe“ von Emilia Roig. So radikal wie der Titel ist auch der Inhalt. Roig hinterfragt Grundpfeiler unserer Gesellschaft und zeigt auf, dass die Gleichstellung der Geschlechter noch längst nicht erreicht ist.

TW: In dem Buch wird sexualisierte und physische Gewalt thematisiert.

In 14 Kapiteln führt die Politikwissenschaftlerin Leser:innen durch feministische Geschichte und die hegemoniale Rolle der Ehe. Sie beginnt mit der Überbewertung romantischer Liebe im Gegenteil zu anderen Formen der Gemeinschaft, analysiert die Bedeutung von Sex, Geld und Geschlecht in der Ehe und bespricht die Grundlagen des Patriarchats. In den letzten zwei Kapiteln ruft sie eine Revolution der Liebe aus und bespricht Alternativen zur Ehe. Ihr Fokus liegt auf feministischen Diskursen, aber Roig lässt intersektionale Perspektiven nicht aus dem Blick, die das Zusammenspiel verschiedener Unterdrückungsformen wie Rassismus, Klassismus* und Ableismus* beleuchten. Immer wieder zeigt sie die Verbindung von Patriarchat und Kapitalismus auf, die sie auch am Beispiel der Ehe beleuchtet.

Auch wenn man Roig in ihrer radikalen Forderung nicht zustimmt, kann man von der Lektüre viel mitnehmen. Die Autorin zeigt Ungerechtigkeiten auf, die so alltäglich sind, dass sie uns gar nicht als solche auffallen. Das Ehegatten-Splitting verschafft Ehepaaren steuerliche Vorteile. Dadurch fördere der Staat die kostenlose Arbeit von Frauen zu Hause, da Paare mit großer Gehaltsspanne am meisten profitieren. Alleinerziehende Eltern, unverheiratete Paare oder Menschen in polyamoren Beziehungen würden gegenüber Ehepaaren benachteiligt. Das Buch regt somit zum Hinterfragen eigener Überzeugungen und Privilegien an, was streckenweise schmerzhaft, aber auch befreiend und bestärkend sein kann.

„Nicht alle Institutionen können reformiert werden“

Roig, die selbst verheiratet war und über ihre Erfahrung schreibt, kritisiert nicht individuelle Ehepaare, sondern die Ehe als Institution. Als Beispiele für den patriarchalen Kern der Ehe nennt Roig die Übergabe der Braut durch den Vater und den Satz „Sie dürfen die Braut jetzt küssen“. In der Einleitung erklärt Roig, warum sie die Ehe abschaffen möchte, anstatt sie abzuwandeln: „Nicht alle Institutionen können reformiert werden. Manchmal müssen sie abgeschafft werden, damit etwas komplett Neues entstehen kann.“ Ziel der Ehe sei es, die Körper der Frauen zu kontrollieren. Sie kritisiert die Vormachtstellung der Kernfamilie, will diese aber nicht abschaffen. Klassische Mutter-Vater-Kind-Konstellationen sollen gleichberechtigt neben alternativen Familien- und Gemeinschaftsmodellen stehen, anstatt als die Norm zu gelten.

Roig bezeichnet das binäre Geschlecht als stärkstes Werkzeug des Patriarchats und erklärt, warum die Kategorien „Mann“ und „Frau“ konstruiert seien. Als Beispiel führt sie die Unterscheidung zwischen „fragilen“ weißen Frauen und „virilen“ Schwarzen Frauen in Zeiten der Sklaverei in den USA an, die den Ausschluss ersterer von Machtsphären und die Ausbeutung letzterer rechtfertigen sollte. Dadurch zeigt sich für sie, dass „das binäre Geschlecht keine unabwendbare, natürliche Ordnung ist, sondern ein Instrument der Beherrschung und Unterdrückung.“ Die Ehe ist für Roig eine Institution, die den Binarismus aufrechterhält. Deshalb müsse die Abschaffung der Ehe mit der Abschaffung des binären Geschlechts einhergehen.

Das Buch ist keine leichte Kost, denn es wird von Gewalt und Unterdrückung geschrieben. Aber es endet mit einer hoffnungsvollen Note: Roig betont die Bedeutung von Utopien und zeigt auf, welche Veränderungen noch vor einigen Jahrzehnten unvorstellbar waren und dennoch eingetreten sind. Sie stellt am Ende keinen perfekt ausgearbeiteten Plan zur Abschaffung der Ehe vor, was aber auch nicht ihr Anspruch zu sein scheint. Vielmehr zeigt sie alternative Konzepte auf. Wie genau diese Alternativen aussehen könnten und wie für sie eine Revolution der Liebe aussieht, lest ihr am besten selbst nach.  

*Klassismus: Vorurteile oder Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunft oder der sozialen Position.

*Ableismus: Diskriminierung wegen einer körperlichen oder psychischen Beeinträchtigung oder aufgrund von Lernschwierigkeiten.


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