Misophonie: Was es mit dem Hass auf Geräusche auf sich hat

Artikel und Foto: Anna Olivia Böke | Triggergeräusche wie Kauen können bei Betroffenen zu starken Gefühlen von Wut, Ekel, Frustration oder Angst führen.

Der Begriff Misophonie“ leitet sich aus dem Griechischen ab und bedeutet wörtlich übersetzt Hass auf Geräusche“. Was unter dieser neurologischen Störung zu verstehen ist und wie Betroffene damit umgehen, erfahrt ihr in diesem Artikel.

Misophonie ist eine neurologische Störung, bei der Menschen extrem empfindlich auf bestimmte Geräusche reagieren. Die betroffenen Personen haben eine ungewöhnlich starke negative emotionale Reaktion auf bestimmte Alltagsgeräusche, die für andere Menschen normal oder sogar angenehm sein können.

Typische Triggergeräusche, die bei Misophonie-Patient:innen starke Reaktionen auslösen können, sind zum Beispiel Schlürfen, Schmatzen und Kauen beim Essen, Atmen oder Schniefen, Tippen auf Tastaturen oder Klicken von Kugelschreibern, Rascheln von Papier oder Plastiktüten und repetitive Geräusche wie das Ticken einer Uhr.

Diese Geräusche führen bei Menschen mit Misophonie zu starken Gefühlen von Wut, Ekel, Frustration oder Angst. Das führt so weit, dass beispielsweise ein gemeinsames Essen mit der Familie nicht mehr möglich ist und die Leidtragenden sich zunehmend isolieren. Auch auf Unverständnis bei ihren Mitmenschen treffen sie oft. Das stellt ein erhöhtes Konfliktpotenzial dar. Um einem sozialen Rückzug vorzubeugen, ist es wichtig, die Störung zu erkennen und zu behandeln. Oft entwickeln die Betroffenen Strategien, um den Geräuschen auszuweichen oder sie zu unterdrücken, was ihr alltägliches Leben erheblich beeinträchtigen kann. 

Um ein besseres Verständnis für die Auswirkungen der Misophonie auf den Alltag zu bekommen, haben wir mit dem Betroffenen Fabian gesprochen und ihm ein paar Fragen gestellt.

Wie äußert sich bei dir die Misophonie?

Fabian: Sobald ich in Situationen bin, in denen meine Misophonie angesprochen wird, empfinde ich unangenehme Gefühle und bin teils stark unter Stress. Ich kann mich in diesen Momenten nur schwer auf andere Dinge konzentrieren, als auf die Geräusche, die die Misophonie auslösen.

Inwieweit beeinträchtigt die Misophonie deinen Alltag?

Fabian: Ich bin darauf bedacht, möglichst keine dieser Situationen entstehen zu lassen. Ich achte zum Beispiel darauf, dass Musik läuft, sobald ich mit anderen esse. Ein großes Problem ist dabei, dass die Situationen mit Freunden und Familienmitgliedern am schwierigsten für mich sind, da ich nicht in einen Konflikt mit ihnen kommen möchte. Mittlerweile habe ich meinen Freunden und meiner Familie von meiner Misophonie erzählt, was meinen Alltag enorm erleichtert. 

Wann ist dir das erste Mal aufgefallen, dass dich die Geräusche mehr stören als andere und wie kam es zu der Diagnose?

Fabian: Das war schon relativ früh. Ich denke, so ungefähr mit zehn oder elf Jahren. Dass ich damit nicht alleine bin und dass es dafür sogar einen Namen gibt, habe ich aber bestimmt erst ungefähr zehn Jahre später erfahren. Lange habe ich gedacht, dass das unnormal sei oder ich einfach irgendwie komisch bin. Ich habe versucht, mir die starken inneren Reaktionen auf Ess- oder Körpergeräusche nicht anmerken zu lassen. 

Wie lange braucht es etwa, bis die Reaktion auf die Geräusche wieder abklingt?

Fabian: Das kommt darauf an, wie lange ich die Geräusche vorher gehört habe. Wenn ich ein volles Abendessen mit jemandem gegessen habe, ohne die Geräusche mit Musik übertönen zu können, kann es längere Folgen haben. Ich fühle mich dann noch eine Weile sehr gestresst und angespannt. Wenn ich einer Situation schnell entkomme, kann ich drei Mal tief durchatmen und dann geht es wieder.

Eine Studie der Psychologieabteilung des South Florida’s College of Medicine ergab, dass mindestens 15 Prozent der Erwachsenen an Misophonie leiden. Am meisten sind Frauen betroffen. Als anerkannte Krankheit gilt die psychische Störung bisher nicht. Die genauen Ursachen der Misophonie sind noch nicht vollständig ergründet, aber es wird angenommen, dass eine Kombination aus genetischen, neurologischen und psychologischen Faktoren eine Rolle spielt.

Misophonie ist keine psychische Störung im eigentlichen Sinne, sondern eine spezifische auditive Überempfindlichkeit. Dennoch kann sie zu erheblichem Stress und Einschränkungen im täglichen Leben führen. Menschen mit Misophonie können von einer Therapie profitieren, die darauf abzielt, ihre Reaktionen auf Triggergeräusche zu reduzieren und Bewältigungsstrategien zu entwickeln. Dazu gehören zum Beispiel Progressive Muskelentspannung, Yoga oder Autogenes Training. Es ist empfehlenswert, bei Verdacht auf Misophonie eine:n Ärzt:in oder eine:n Psycholog:in aufzusuchen, um eine Diagnose und angemessene Unterstützung zu erhalten.


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