„Schöne Worte, Konferenzen und Kampagnen reichen nicht aus. Wir brauchen Rechte.“

Interview: Selome Abdulaziz | Awet Tesfaiesus ist Anwältin aus Kassel und seit 2009 aktiv bei Bündnis 90/Die Grünen. [Bild: Yvonne Sophie Thöne]

Awet Tesfaiesus zog am 26. September 2021 über Listenplatz 9 der Grünen in Hessen in den Deutschen Bundestag ein. Die Rechtsanwältin aus Kassel war zuvor Stadtverordnete und Sprecherin für Integration und Gleichstellung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Kasseler Rathaus. Sie ist die erste Schwarze Frau im Deutschen Bundestag.

ak[due]ll: Vielen Afrodeutschen bedeutet es viel, endlich eine schwarze Bundestagsabgeordnete zu haben. Sie haben sich für mehr Diversität ausgesprochen. Warum ist Repräsentation für Sie so wichtig?

Tesfaiesus: Zum einen geht es natürlich um Sichtbarkeit. Es geht darum, dass Menschen sich widergespiegelt sehen von Parlamenten und Behörden, dass sie begreifen, dass es auch ihr Land ist und auch ihr Parlament. Das andere ist natürlich, unterschiedliche Perspektiven einzubringen. Wenn Menschen, die von keiner Diskriminierung betroffen sind, das Thema Wohnraum bearbeiten, bearbeiten sie es anders als Menschen, die von Diskriminierung betroffen sind. Da ist es wichtig, dass beispielsweise Menschen mit Behinderung mit am Tisch sitzen und diese Perspektiven auch einbringen können. Dann ist der Blick da, wie viel barrierefreie Wohnungen es gibt, was man gegen Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt tun kann. Als Frau kann ich am besten sagen, welche Themen für mich als Frau wichtig sind. Als Schwarze Frau kann ich besser sagen, was Schwarze Frauen brauchen. Wenn wir das alles nicht haben, wenn wir weder PoCs in den Parlamenten haben, noch queere Meschen, noch Menschen mit Behinderung, noch Frauen, dann haben wir eine sehr beschränkte Sichtweise auf diese Welt.

ak[due]ll: Was sind ihre Ziele, wie Sie Ihre Perspektive als Schwarze Frau in den Bundestag einbringen können?

Tesfaiesus: Ich bin ja nur eine einzige Frau, ich werde sicherlich nicht die Stimme einer ganzen Gruppe sein können. Auch wir als Schwarze Community sind sehr divers und haben unterschiedliche Ansichten und es ist gut so, dass wir verschiedene Perspektiven haben. Mir ist wichtig, bei meiner Arbeit mit den unterschiedlichen Teilen der Community in Kontakt und im Diskurs zu sein, um Input und Perspektiven von dort mitzunehmen. Gegen Diskriminierung zu kämpfen bedeutet gesellschaftliche Arbeit, dass man Bewusstsein für das Thema schafft. Aber es bedeutet auch knallharte Gesetze und Rechte. Schöne Worte, Konferenzen und Kampagnen reichen nicht aus. Wir brauchen Rechte! Was passiert, wenn ein Unternehmen diskriminiert? Was passiert, wenn ich aufgrund meiner Hautfarbe keine Wohnung bekomme? Da müsste es einen echten Schadensersatzananspruch geben, der vernünftig geltend gemacht werden kann. Das finde ich sehr wichtig und es würde mich freuen, wenn wir in diesem Bereich vorankommen würden.

ak[due]ll: Sie beschreiben, dass Sie sich nach dem rassistischen Anschlag von Hanau für die Bundestagskandidatur entschieden haben. Wie kam es dazu?

Tesfaiesus: Es war nicht unmittelbar danach. Wie viele in der Community war ich erstmal schockiert, sehr verunsichert, auch verzweifelt. Wie kann es nach so einem Anschlag weitergehen? Gehören wir in dieses Land? Was für eine Zukunft haben wir? Aus dieser Verzweiflung wuchs aber irgendwann der Tatendrang. Um mir selbst in den Spiegel schauen zu können, muss ich mein Bestes tun, um dagegen vorzugehen. Der erste Schritt war für mich als Stadtverordnete in Kassel. Da habe ich Antidiskriminierung in den Mittelpunkt meiner Arbeit gelegt und beispielsweise für eine kommunale Antidiskriminierungsstelle gekämpft. Nach einer Weile habe ich gemerkt: Das genügt mir nicht. Nur ehrenamtlich, neben einem Vollzeitjob, gegen Rassismus zu kämpfen ist nicht das, was ich eigentlich im Kopf hatte. Der nächste Schritt für mich war dann zu sagen, ich würde gerne meinen Job aufgeben und nur für das Ziel einer gerechten Gesellschaft arbeiten.

ak[due]ll: Als erste Schwarze Frau im Bundestag werden viele Erwartungen auf Sie gerichtet, die wahrscheinlich auch die Community an Sie hat. Setzt Sie das unter Druck?

Tesfaiesus: Ein wenig. Ich weiß aus meiner Arbeit als Anwältin, dass man nicht alle Erwartungen erfüllen kann, dass es äußere Grenzen gibt. In der Politik braucht man eben auch Mitstreiter:innen, man muss Mehrheiten bilden. Ich bin mir dessen bewusst, dass das in der Außenwelt nicht so gesehen wird. Unterm Strich wird gefragt: „Was habt ihr denn getan?“ Ich kann mich aber davon ganz gut distanzieren. Für mich ist wichtig, dass ich mir gegenüber sagen kann, du hast dein Bestes gegeben, du hast dafür gekämpft. Da draußen gibt es immer unterschiedliche Ansichten, man wird es nie allen gerecht machen, auch nicht der Community. Diese ist, wie gesagt, auch divers.

ak[due]ll: Sie kamen in den Achtziger Jahren nach Deutschland. Hat sich die Situation für PoC in Deutschland seitdem verbessert?

Tesfaiesus: Ja, auf jeden Fall. Wenn ich an meine Kindheit denke, gab es keine Projektionsflächen für uns, das ist für die heutige Jugend gar nicht mehr vorstellbar. Es gab keine Schwarzen Menschen in der Öffentlichkeit, in den Medien oder in der Politik. Das kam erst nach und nach, zum Beispiel mit Arabella Kiesbauer als erste Schwarze Frau im deutschen Fernsehen. Das war immer ein großes Highlight für mich. Jetzt haben wir Aktivist:innen, die sehr sichtbar sind, Tupoka Ogette zum Beispiel oder Alice Hasters, die Bücher über Rassismus geschrieben haben. Es hat sich einiges geändert, aber es sollte nicht Jahrzehnte dauern. Wenn wir in dem Tempo weitermachen, ist das zu langsam. Es ist schön, dass sich etwas geändert hat, dass wir einige sichtbare Personen haben, aber mehr ist es ja erstmal nicht. PoCs sind trotzdem an vielen Stellen unterrepräsentiert. Wir brauchen schon mehr, damit es gut wird. Meines Erachtens braucht es auch von der Politik mehr Lenkung, damit die Entwicklung beschleunigt wird.

ak[due]ll: Sie haben gesagt, dass sich die Sichtbarkeit schon gebessert hat. Aber die AfD hat zum zweiten Mal zweistellige Wahlergebnisse erzielt und rassistische Anschläge finden immer noch statt. Haben Sie Hoffnung, dass sich das bald bessern kann?

Tesfaiesus: Das kann ich nicht wirklich sagen. Ich weiß nicht, ob man die AfD oder Menschen, die die AfD wählen, ändern kann. Das würde ich mir natürlich wünschen. Im Moment ist meine Hoffnung, dass die Menschen, die rassistisch behandelt werden, Instrumente haben, um dagegen zu agieren. Mir ist wichtig, die Community zu stärken, zu empowern und ihr Rechte mit an die Hand zu geben. Ich weiß, dass das die Gefahr mitbringt, dass Wähler:innen der AfD sich noch mehr in die Enge gedrängt fühlen, noch mehr das Gefühl haben, es sei nicht ihr Land. Das kommt daher, dass lange Zeit eine Gruppe, insbesondere weiße Männer, sehr privilegiert war. Es ist nicht einfach, Privilegien wegzunehmen und zu erwarten, dass da kein großer Aufschrei kommt. Nichtsdestotrotz ist es mir erstmal wichtig, die Community zu schützen und zu unterstützen. 


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