Die Rolle von Ideologie und Weihnachtsliedern im Nationalsozialistischen Weihnachtskult

Artikel: Freya Pauluschke | Das Lied „Bald nun ist Weihnachtszeit“ wurde 1936 im HJ-Liederblatt 65 erstveröffentlicht und breitete sich auch nach dem Zweiten Weltkrieg weiter aus. [Foto: Freya Pauluschke]

Kugeln mit SS-Runen hingen in der Jultanne, es gab Plätzchen-Ausstecher und Baumständer in Form des Hakenkreuzes und Weihnachtslieder verehrten Hitler statt Jesus. Wir schildern euch den nationalsozialistischen Weihnachtskult und was heute noch davon nachhallt.

Nach der Machtergreifung 1933 haben die Nationalsozialisten christliche Weihnachtsrituale ideologisch umgedeutet. Ziel war es unter anderem, den christlichen Glauben in der Bevölkerung zurückzudrängen. Im Buch Der Mann, der Hitler Ideen gab des Psychologen Wilfried Daim ist ein Sitzungsbericht vom 14. August 1943 über die geplante Religionspolitik abgebildet. Darin steht: „Sofortige und bedingungslose Abschaffung sämtlicher Religionsbekenntnisse nach dem Endsieg und zwar nicht nur für das Gebiet des Großdeutschen Reiches, sondern auch für sämtliche befreiten, besetzten und annektierten Länder […] mit gleichzeitiger Proklamierung Adolf Hitlers zum neuen Messias.“ Hitler sollte also die Rolle des Jesus einnehmen. Folglich sollte auch ein neues Weihnachten her.

Als unchristlicher Weihnachtsersatz wurde das Julfest, angelehnt an den germanischen Sonnenwendkult, eingeführt. Die länger werdenden Tage nach der Wintersonnenwende symbolisieren Licht, Leben und Auferstehung. Symbole und Rituale des germanischen Sonnenkults wurden in der NS-Zeit allmählich mit bekannten christlichen Traditionen verbunden, um eine emotionale Bindung zu schaffen und daraufhin nationalsozialistisches Gedankengut zu vermitteln.

Weihnachten sollte die nationale Wiedergeburt symbolisieren. In seinen Rundfunkansprachen zu Weihnachten während des Krieges sprach Reichspropagandaminister Joseph Goebbels anfangs vom besinnlichen Familienfest, später dann vom „Fest des nationalen Heldengedankens.“ Weihnachten wurde also immer mehr zum Zweck nationalsozialistischer Propaganda genutzt. Am 21. Dezember wurde einerseits die Wintersonnenwende gefeiert – als Fest des „wiederaufsteigenden Lichts“ –, aber auch Kriegerdenkmäler wurden besucht.

Wir-Gefühl durchs Singen

In der NS-Zeit entstanden viele Hymnen-artige Lieder, Propaganda- und Kampflieder der NSDAP. Sie dienten der Verherrlichung des Systems, Vergöttlichung Hitlers und der Stärkung der Gesellschaft. Denn, gemeinschaftliches Singen kreiert ein nationalistisches Gefühl. Die Nationalsozialisten nutzten die Macht von Liedern zum Bösen aus. Davon wurden auch besinnliche Weihnachtslieder nicht verschont. Ursprünglich stammen die meisten der uns bekannten Weihnachtslieder aus der mittelalterlichen Zeit. Durch die ideologische „Entchristianisierung“ dichteten die Nationalsozialisten viele alte traditionelle Weihnachtslieder um. Stücke wie Zu Bethlehem geboren und Tochter Zion, freue dich wurden zur NS-Zeit komplett verboten, da sie jüdische Elemente enthalten. Manipulierte, mit Pathos und Schwulst durchzogene Weihnachtslieder wurden als NS-Propaganda genutzt, die neuen Liedtexte wurden über Massenveranstaltungen und -medien verbreitet.

Stille Nacht, heilige Nacht wurde 1942 umgeschrieben: das „traute hochheilige Paar“ wurde zum „strahlende[n] Lichterbaum“, aus „Christ, in deiner Geburt“ wurde „Werdet Lichtsucher all!“. Es gibt noch andere Versionen, eine davon stammt aus den späten 1930er Jahren und ist eher erschreckend: „Stille Nacht, heilige Nacht, alles schläft, einfach wacht. Adolf Hitler für Deutschlands Geschick, führt uns zu Größe, zu Ruhm und zu Glück.“ Des Weiteren stempelte die Reichspost 1937 Briefmarken zu Weihnachten mit der Aufschrift: „Unser Führer der Retter ist da!“, der umgedichtete Vers „Christ der Retter ist da!“.

Singen wir heute noch NS-Weihnachtslieder?

Das Lied Wisst ihr noch, wie es geschehen des regimetreuen NS-Dichters Herman Claudius befindet sich noch heute im Evangelischen Gesangbuch. Aufgrund dessen kam es zur Debatte über die Entfernung des Liedes mit der nächsten Ausgabe.

Die Meinungen darüber, ob man Weihnachtslieder, die unter nationalsozialistischer Regierung umgedichtet wurden, heute noch singen kann oder nicht, gehen auseinander. Ansgar Franz, Professor für Praktische Theologie an der Universität Mainz, sagt beispielsweise, man solle den Autor vom Lied unterscheiden: Handle es sich also um einen belasteten Autor aber einen unbelasteten Liedtext, wäre es tolerierbar, das Lied weiterzusingen. „Aber nun bei jedem als ‚gut‘ empfundenen Lied nachzuforschen, ob der Verfasser politisch und theologisch korrekt war? Ist das sinnvoll? […] Ich bin sehr dafür, gründlichst die Lieder zu prüfen, aber wie weit sollte eine Prüfung der Autoren gehen?“, äußert Franz. Expert:innen aus Deutschland und Österreich arbeiten momentan an einer Überarbeitung des Gesangbuches.

Das ursprünglich schweizerische Sternsingerlied Es ist für uns eine Zeit angekommen wurde 1939 für das Singbuch „Deutsche Kriegsweihnacht“ umgedichtet. Der Musiklehrer Paul Hermann entnahm diesem Lied jeglichen christlichen Bezug und änderte die Lyrik so, dass eine idyllische Winterlandschaft besungen wird. Der Originaltext des Sternsingerlieds lautet folgendermaßen: „Es ist für uns eine Zeit angekommen, sie bringt uns eine große Gnad: Unser Heiland Jesus Christ, der für uns, der für uns, der für uns Mensch geworden ist.“ Daneben die nazistische Umdichtung: „Es ist für uns eine Zeit angekommen, sie bringt uns eine große Freud‘. Über‘s schneebeglänzte Feld, wandern wir, wandern wir, durch die weite weiße Welt.“ Bei der Phrase „weite weiße Welt“ lässt sich möglicherweise eine Metapher zur nationalsozialistischen Ideologie wiederentdecken.

Tatsächlich ist die umgedichtete Variante heute die bekanntere. In manchen Liederbüchern sind beide Textversionen abgedruckt. Aber sollte man das Lied nun lieber nicht mehr singen? Zunächst gilt es herauszufinden, wer der verantwortliche Umdichter Paul Hermann überhaupt war: Seit 1933 war der Musiklehrer im NSLB (Nationalsozialistischer Lehrerbund) und ab 1940 NSDAP-Mitglied. Ob er nun voller Überzeugung von der NS-Weltanschauung war oder sich damit arrangierte, um zum Beispiel eine Karrierechance unter den Nationalsozialisten zu ergreifen, ist unklar. Zumindest wirkt der Liedtext auf den ersten Blick eher harmlos. Hermann hat das Lied zwar entchristlicht, dennoch könnte man die besungene „Freude“ als Freude auf das weihnachtliche Wunder interpretieren. Offensichtliche Anzeichen von Diskriminierung oder Pathos sind nicht zu finden. Gehen wir Franz‘ These nach, wäre es wohl in Ordnung Es ist für uns eine Zeit angekommen noch heute zu singen, da der Liedtext unbelastet scheint.

Glücklicherweise konnten sich die meisten Umdichtungen der Nationalsozialisten vor allem in privaten familiären Kreisen nicht gegenüber den traditionellen Weihnachtsliedern durchsetzen. Außerhalb von Massenveranstaltungen wurden umgedichtete Lieder anscheinend kaum gesungen. Denn auch die Religion mit ihren christlichen Traditionen war viel zu fest in der Gesellschaft verankert. Die Chance, dass in Deutschland heutzutage nationalsozialistisch-belastete Lieder an Heiligabend angestimmt werden, ist also doch eher gering.


Beitrag veröffentlicht

in

von