„Kannst du mich hören?” – eine Ausstellung über Iran und das, was Nachrichten uns nicht vermitteln können

Artikel: Julika Ude | Wie können wir die Geschichte von Menschen nicht nur hören, sondern auch verstehen und nachfühlen?   [Foto: Julika Ude/ Künstlerin: Sarah Pooyan Fard] | Fotostrecke: Julika Ude und Raika Khorshidian

„Albträume der Kindheit“, Unterdrückung und Gewalt – In Iran erleben Bürger:innen nicht erst seit der „Frauen, Leben, Freiheit“-Bewegung Szenen, die sie nie wieder aus dem Kopf bekommen werden. Raika Khorshidians und Heidar Zahedis Ausstellung „Kannst du mich hören?“ in der Gublia Galerie in Essen erzählt von dem Leben von Künstler:innen in Iran vor 2022. Und von der Rolle der Medien bei der Vermittlung von Lebensrealitäten.

„Ich will, dass mehr gesehen wird, als nur die Nachrichten, die hier in Deutschland gezeigt werden“, erklärt mir Kuratorin Raika Khorshidian zu ihrer Ausstellung „Kannst du mich hören?“. Zusammen mit Kurator Heidar Zahedi kreierte sie in der Gublia Galerie in Essen einen Raum „in dem Medien, Vermittlung und die Metamorphose losgelöster kultureller Konzepte hinterfragt werden können.“

Installationen, Videos und Zeichnungen von Künstler:innen aus Iran und Deutschland geben Betrachter:innen einen Einblick in die vermittelnde Rolle der Medien. Und sie geben Anlass, über kulturelle Codes zu reflektieren, die das Verständnis anderer soziologischer und geografischer Kontexte für uns sowohl ermöglichen, als auch verhindern. Im Zentrum dieser Auseinandersetzung stehen Iran und die Bewegung „Frauen, Leben, Freiheit“ im Jahr 2022. Ziel der Kurator:innen ist es, tiefer in die iranische Gesellschaft und Geschichte blicken zu lassen und die Stimmen iranischer Künstler:innen nach Deutschland weiterzutragen.

So findet man in der Galerie einige Kunstwerke, die vor Jina Mahsa Aminis Tod und der daraufhin aufkommenden Protestbewegung „Frauen, Leben, Freiheit“ erstellt wurden. Außerdem gibt es einen extra Raum, in dem ein Video und ein paar Sessel wie in einem kleinen Kinosaal angerichtet wurden und dazu einladen, in die gesellschaftlichen Hintergründe und Biographien der ausgestellten Künstler:innen einzutauchen. Hat man nicht viel Wissen über Iran und was die Menschen schon vor 2022 bewegte, ist das der perfekte Ort, um mehr darüber zu lernen. 

„Entstellte Gesichter, verbrannt im Feuer.“

Durch das Video erschließen sich für Unwissende einige der ausgestellten Kunstwerke auf eine neue Art und Weise. So zum Beispiel Sarah Pooyan Fards „Determine the Horizon“ aus dem Jahr 2019. In der Zusammenstellung aus Zeichnungen und Fotografien, in denen die Künstlerin Erlebtes und Gesehenes verarbeitet, meint man zunächst einige Elemente  aus den jüngeren Medienberichten im Zusammenhang mit der „Frauen, Leben, Freiheit“-Bewegung wiederzuerkennen. So die kämpferische Faust der Frauen, oder ein am Boden liegendes, ermordetes Mädchen. Doch wird durch das Veröffentlichungsdatum deutlich, dass die Künstlerin auf frühere Geschehnisse sowie ihre Alltagserfahrungen Bezug nimmt. Der Videoinhalt gibt Kontext zu weiteren Elementen auf den Bildern, wie vergraute Kinderspielzeuge oder ein Mädchen, dessen Blick leer ist und dessen Tränen voll Blut sind, während sie den abgetrennten Kopf eines Kindes in der Hand hält.

Pooyan Fard gibt preis, diese Figuren hätten ihren Ursprung „in Albträumen aus der Kindheit, als die Zeitungen voll von Beschreibungen lebloser Körper mehrerer [regimekritischer Intellektueller] waren und Frauen, die in einer Reihe von Morden getötet wurden.“ Die Mörder sind zum Teil bis heute unbekannt. Inhaftierungen von Regimegegner:innen und Gewalttaten verübt von der Islamischen Republik Iran, „entstellte Gesichter, verbrannt im Feuer“ sind Anblicke, die sie im Zuge der angespannten politischen Situation in Iran früh prägten. Ebenso wie die „Vali-Asr-Straße“, eine zentrale Straße in Teheran, die sie täglich nutzen muss. Die Künstlerin verbildlicht, wie der Boden der Straße im Herbst mit Laub bedeckt ist. Aber, dass auf eben dieser Straße „manchmal auch Menschen wie gefallene Blätter liegen.“ Weil sie diesen Szenen nicht entkommen kann, bringt sie sie auf die Leinwand.

Direkt neben Pooyan Fards Kunstwerk findet sich Mitra Soltanis „Ornament und Crime“ aus dem Jahr 2021. Für ihr Kunstwerk bestickte sie Zeitungen mit Ornamenten. Besonders jene aus dem Jahr 2019, die Nachrichten aus einer heftigen Protestphase der zivilen Bevölkerung gegen die Unterdrückung der Regierung enthalten. Die Regierung beging etliche Morde und Straftaten an Bürger:innen und nutzte später die Zeitung, um ihre Taten zu vertuschen und zu verharmlosen. Diese Zeitungen lässt Mitra Soltanis nicht vergessen. Durch ihre Bestickungen versucht sie, „Licht auf dunkle Oberflächen zu reflektieren“ und betont so die Absurdität der Vorgehensweise der Regierung.

„Ohne Technik könnte hier niemand die Stimmen der iranischen Künstler:innen hören.“

Während man diese beiden Kunstwerke betrachtet, fällt auf, dass sie hin und wieder in neues Licht getaucht werden. Die Reflektion des Lichtes von der gegenüberliegenden Installation „Pixellunch (reloaded)“, von Christoph Hildebrand, verändert ihre Farben, je nachdem welcher Code auf den Anzeigetafeln der Installation abgespielt wird. „Pixellunch (reloaded)“, sind etwa vier Quadratmeter bedeckende „Pixel“, hier durch Frühstücksdosen dargestellt, in die Monitore und Laufschriften eingearbeitet sind.Sie standen bei der Erstveröffentlichung 1993 für einen Aufbruch in eine neue Welt. Die 2023 neu aufgesetzte Fassung  hingegen zeigt das Leben in ebendieser neuen, digitalen Welt.  Durch den alten Monitor, auf dem nur noch Ameisenrauschen zu sehen ist, und dem neu eingefügten Tablet, auf dem rastloses Surfen durch Instagram abgespult wird, trägt das Kunstwerk die technologische Entwicklung in und mit sich. Gleichzeitig gibt es den ständigen Medienkonsum der heutigen Gesellschaft preis. 

Die veränderten Farbtöne, die diese Installation bei den iranischen Kunstwerken verursacht, werden zu der grundlegenden Aussage der Ausstellung: Erfährt man nur medial über Geschehnisse an anderen Orten, wird das eigene Bild über andere Länder und Kulturen  von den konsumierten Nachrichten geprägt, genauso wie von den Inhalten, die man nicht kennt – dazu gehören Umstände und kulturelle Codes. Das Zusammenspiel der Kunstwerke macht zum einen deutlich, wie viel Wissensvermittlung durch heutige Medien überhaupt erst möglich ist. Zum anderen zeigt es, dass ein großer Teil der Lebensrealitäten bei medialer Vermittlung verloren geht. Wie viele und gleichzeitig wenige Lebensgeschichten hören wir in den Medien, ohne sie wirklich verstehen und fühlen zu können?

Am Ende unseres Gesprächs führt mich die Kuratorin zu einem Zusatz der Ausstellung. Sie bleibt vor einem kleinen Screenshot stehen, der unter der Ausstellungsbeschreibung angebracht ist. Darauf abgebildet sind alle Künstler:innen der Ausstellung bei einem gemeinsamen Videoanruf. Raika Khorshidian zeigt mit ihrem Finger auf die kleinen Kacheln und erklärt: „Auch für die Planung der Ausstellung haben Medien eine existenzielle Rolle gespielt. Ohne die Technik wäre eine Kommunikation von Iran hierher nach Deutschland nicht möglich gewesen. Und niemand könnte die Stimmen dieser Künstler:innen hier in Essen auch nur versuchen zu hören.“ Die Ausstellung „Kannst du mich hören?“ konnte bis zum 10. November 2023 in der Galerie Gublia in Essen besucht werden. Am 15. November 2023 eröffnet als Teil des kuratorischen Projekts Kannst du mich hören?“ die Ausstellung Here / There“ in der Galerie Brotfabrik in Bonn und kann bis zum 26. November besucht werden. Bis auf Christoph Hildebrand sind dieselben Künstler:innen und Homa Emami vertreten. Untersucht wird die Rolle von Kunst und Künstler:innen im gesellschaftlichen Wandel. Konzentriert wird sich dabei auf iranische Künstlerinnen, deren Werke den Hintergrund der Bewegung Frau, Leben, Freiheit“ erzählen und kollektive Traumata ansprechen. Das Projekt soll gegenseitiges Verständnis fördern und die Stimmen von Frauen aus verschiedenen Hintergründen weitertragen. Die Öffnungszeiten und weitere Informationen findet ihr hier.


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