„Meine Trauer hat sich in Wut gewandelt.“

Autorin: Julika Ude | Illustration: Silvana Grazia

Meral* zog vor einem Jahr aus dem Iran nach Deutschland. Vor einem halben Jahr begann sie ihr Studium an der UDE. Seit fünf Monaten, seit Jina Mahsa Aminis Tod und den anhaltenden systemkritischen Protesten im Iran, ist sie mit ihrem Kopf und ihrem Herzen bei ihrem Heimatland. Im Interview spricht sie über ihre Trauer, ihre Wut, und über ihren Appell an uns alle.

ak[due]ll: Am 16. September 2022 starb Jina Mahsa Amini in Gewahrsam der Sittenpolizei in Teheran. Sie habe ihren Hijab zu locker getragen und sei ihrer Familie zufolge durch Polizeigewalt gestorben. Was hast du gefühlt, als du von ihrem Tod gehört hast?
Meral*: Als ich davon hörte, spürte ich starke Trauer und Schmerz. Nach dem Tod von Mahsa Amini habe ich zwei Wochen nur geweint. Sie war ein gewöhnliches Mädchen, so wie ich. Mahsa hätte ein Familienmitglied von mir sein können. Ich war noch nie in Gewahrsam der Sittenpolizei, aber ich habe versucht, mir ihre Situation dort vorzustellen. Viele Frauen werden von der Sittenpolizei gefangen genommen – ich fühle mich mit ihnen und mit Mahsa verbunden. Wir alle haben eine gemeinsame Geschichte. Wir sind unfrei unter dem herrschenden Regime. Und nicht sicher.

ak[due]ll: Du warst zu dem Zeitpunkt in Deutschland. Wie ging es dir damit, dass du in diesem Moment nicht in deinem Heimatland warst?
Meral*: Ich habe mich gefragt, was ich hier in Deutschland mache. Es war, als würde ich in einer anderen Welt leben. Als dann das Internet gekappt wurde, konnte ich länger als zwei Wochen nicht mit meiner Mutter reden und wusste nicht, wie es ihr geht. Andere im Iran verbanden sich per VPN-Zugang mit dem Internet. Aber sie wusste nicht, wie man das macht. Mittlerweile können wir telefonieren, das macht mir meine Abwesenheit etwas einfacher. Trotzdem sehe ich meine Freunde hier in Deutschland, die ihren Alltag weiterleben. Und dann, im nächsten Moment, sehe ich Videos über die Zustände im Iran, die Gewalt und Tote zeigen. Meine anfängliche Trauer über Mahsa Aminis Tod hat sich in Wut gewandelt. Ich bin entschlossen, meine Stimme zu erheben und mein Umfeld auf die Lage im Iran aufmerksam zu machen. 

ak[due]ll: Hast du keine Angst, die iranische Regierung könnte herausfinden, dass du dich gegen sie aussprichst?
Meral*: Wenn sie das herausfindet, bin ich in Gefahr. Deutschland ist für Iraner:innen bei regimekritischen Handlungen trotz Entfernung kein sicherer Ort. Allerdings ist meine Instagram-Seite öffentlich und ich poste Videos von Regimegegner:innen. Es gibt also ohnehin schon etwas, das gegen mich verwendet werden kann. Ich kann nicht einfach nichts machen. Wir müssen jetzt alle gemeinsam laut sein und die Personen auf den Straßen im Iran unterstützen. Lange genug habe ich Angst vor der Polizei dort gehabt.

ak[due]ll: Wieso hast du dich vor der Polizei gefürchtet? 
Meral*: Schon bevor ich mich gegen das Regime ausgesprochen habe, hatte ich Angst vor der Polizei. Nicht nur vor der Sittenpolizei, die Mahsa Amini in Gewahrsam nahm, sondern vor jeglichen Ordnungskräften. Denn schon der Verdacht auf systemkritische Handlungen reicht, um festgenommen zu werden. Und ein Geständnis, das unter Folter abgelegt wurde und nicht der Wahrheit entspricht, kann zur Verurteilung führen. Dazu kommt in meinem Fall, dass mein Vater Regimekritiker war. Ich musste deshalb ständig Angst davor haben, inhaftiert oder bedroht zu werden.

Seit Jina Mahsa Aminis Tod halten die systemkritischen Proteste im Iran an. [Illustration: Silvana Grazia]

ak[due]ll: Du sagtest bereits, du warst unfrei unter der iranischen Regierung. Ist die ständige Angst davor, festgenommen zu werden, ein passendes Beispiel für dieses Gefühl? 
Meral*: Unfreiheit in meinem Heimatland verbinde ich mit vielen emotionalen Situationen in meinem Leben. Auch die Pflicht zum Tragen des Hijabs sehe ich als Unterdrückung von dem Regime, die noch viel weiter geht, als uns unsere Kleidung vorzuschreiben. Dass ich die Polizist:innen im Iran grundlegend gefürchtet habe, macht die Unfreiheit allerdings besonders deutlich. Die Polizei sollte Sicherheit für Bürger:innen bringen. Aber immer, wenn ich Ordnungskräfte im Iran sah, fühlte ich mich unsicher, bedroht und ich wollte wegrennen. Im Iran ist es nicht wie hier in Deutschland. Die Polizist:innen helfen uns nicht, wenn wir ausgeraubt oder verletzt werden. Sie schützen uns nicht vor Gewalt. Sie üben sie zum großen Teil aus.

ak[due]ll: Hältst du die Entwicklungen im Iran für eine Revolution?
Meral*: Die Leute auf den Straßen im Iran demonstrieren nicht „einfach“. Wir stehen an der Schwelle zu einer Revolution. Mir ist es wichtig, aufzuzeigen, dass wir jede Unterstützung dabei brauchen, diese Revolution erfolgreich werden zu lassen. Jede:r kann uns unterstützen und seine:ihre Stimme für uns erheben. Im Privaten, beispielsweise auf Social Media, kann man dafür die Aufmerksamkeit auf die Proteste und neue Entwicklungen im Iran lenken. Es geht darum, Politiker:innen zu signalisieren, dass akuter Handlungsbedarf bezüglich des Irans besteht, zum Beispiel in Form von Sanktionen, um das Regime im Iran zu schwächen. 

ak[due]ll: Auf was sollten Studierende in ihrem Uni-Alltag bezüglich der Situation im Iran achten?
Meral*: Es gibt einen Professor in Teheran, der an der Sharif Universität den Fachbereich Computer Engineering lehrt und der die iranische Regierung bei der Internetzensur unterstützt hat. Ich wünsche mir, dass Studierende den Hintergrund der Wissenschaftler:innen, von denen sie Theorien lernen, kritisch hinterfragen. Und, dass sie Dozierende bei einem bedenklichen Fund darauf aufmerksam machen. So werden Forschende und Lehrende, die zum Beispiel Menschenrechte nicht achten, nicht weiter unterstützt. Jemand, der die Freiheit der Bürger:innen nicht respektiert, sollte mit seiner Forschung nicht weiter im Rampenlicht der Wissenschaft stehen.

ak[due]ll: Was liegt dir besonders am Herzen, zu verbreiten?
Meral*: Ich möchte gerne auf Belutschistan verweisen. Das ist eine arme Provinz im Iran, über die ich in der letzten Zeit wenig in deutschen Medien gehört habe. Belutsch:innen werden seit langem unterdrückt und systematisch diskriminiert. Das schlägt sich auch in unverhältnismäßiger Anwendung der Todesstrafe gegen sie nieder. Die Menschen dort dürfen, besonders in dieser Situation, nicht vergessen werden.

*Name von der Redaktion geändert


Beitrag veröffentlicht

in

von

Kommentare

Eine Antwort zu „„Meine Trauer hat sich in Wut gewandelt.““

  1. Hallo, dies ist ein Kommentar.
    Um mit dem Freischalten, Bearbeiten und Löschen von Kommentaren zu beginnen, besuche bitte die Kommentare-Ansicht im Dashboard.
    Die Avatare der Kommentatoren kommen von Gravatar.